Das deutsche Stempelgesetz von 1884
Mit Reichskrone, Sonne und Halbmond – das deutsche Stempelgesetz von 1884
Wer hat nicht schon einmal ein Besteckteil oder Schmuck aus Silber – sei dies ein Erbstück aus Familienbesitz oder eine Trouvaille vom Antik- oder Flohmarkt – in den Händen gehalten und sich gefragt, was die darauf eingepunzten Symbole Sonne und Halbmond bedeuten?
Gesetzliche Neuregelung als Folge der Reichgründung von 1871
Im Zuge der nach der Niederlage Frankreichs 1871 erfolgten Gründung des Deutschen Kaiserreichs wurde eine ganze Reihe von Gesetzen verabschiedet, um dem neu entstandenen Staat die zu seiner wirtschaftlichen Blüte notwendigen nationalen Gesetzesrahmen zu schaffen. Hier sei nur an die Einführung der (Gold-)Mark als Reichswährung erinnert, aber auch an die des Bürgerlichen Gesetzbuches als einheitliches Zivilgesetzbuch. Auch der im neu gegründeten Deutschen Kaiserreich boomenden Schmuckindustrie wollte man durch eine nationale Gesetzgebung rechtliche Hemmnisse aus dem Weg räumen.
Entscheidend angestoßen durch die hohen Reparationszahlungen Frankreichs, entwickelte sich in den 'Gründerjahren' eine starke Nachfrage nach Schmuck und Geräten aus Gold und Silber. Dies war auch die Folge eines gestiegenen Repräsentationsbedürfnisses breiter bürgerlicher Schichten. Es fand seinen stilistischen Ausdruck im Historismus, der sich dabei auf historische Objekte aus Gold und Silber zurückbesann. Hinzu kam, dass die Nachbarstaaten des Deutschen Reiches – Frankreich, das Britische Empire, aber auch die Staaten der KuK-Monarchie Österreich-Ungarns – schon seit längerem nationale Gesetze über die Stempelung von Gold und Silber verabschiedet hatten. Mit ihnen traten die deutschen Erzeugnisse aus Hanau und Pforzheim, um nur die bekanntesten Städte der Schmuckindustrie in Deutschland zu nennen, in Konkurrenz.
Die Punzierung von Gold und Silber vor Einführung des Stempelgesetzes 1884
Als Folge der über Jahrhunderte entstandenen territorialen Zersplitterung Deutschlands hatte sich in den einzelnen Städten und Bundesstaaten eine Vielzahl von Regelungen über die Punzierung von Gold und Silber entwickelt, die mitunter bis weit ins Mittelalter zurückreichten.
Diese starke handwerklich-vorindustriell geprägte Tradition führte im Ergebnis zu einer Vielzahl von Marken auf Gold und Silber.
Neben der individuellen Meistermarke und der oft ebenfalls in der Werkstatt eingeschlagenen Stadtmarke des staatlichen Kontrollorgans (Beschauzeichen), wie es z. B. die Schaumeister der Zünfte waren, gab es Feingehaltsstempel sowie mitunter in codierter Form Jahresmarken, ferner noch diverse staatliche Kontroll- und Steuermarken. Im Ergebnis bestand bei Reichsgründung eine schier unübersichtliche Vielzahl von Marken sowie – wenn überhaupt auf den Stücken sichtbar vorhanden – nicht-metrische Feingehaltsangaben, kurz: ein uneinheitliches, unüberschaubares Markenwesen bei Gold und Silber.
Die Punzierung des Feingehaltes vor Einführung des Stempelgesetzes von 1884
Bis zum Jahr 1884 war es einer bis ins Mittelalter zurückreichenden Praxis folgend üblich, den Silbergehalt in Lot anzugeben. Gewichtsgrundlage des Systems bildete die Kölner Mark zu 233,86 g, die man in 16 Teile (Lot) teilte. Entsprechend punzte man bis 1884 Silbergeräte mit dem Feingehalt in Lot, wobei 16 Lot einem Feingehalt von 1.000 entsprechen (sog. Feinsilber). Üblich waren bei verarbeiteten Gegenständen Legierungen von 12, 13 und 14 Lot, die einem metrischen Feingehalt von 750, 813 und 900 entsprechen.
Auch die Feingehaltsangaben für Gold bezogen sich bis 1884 auf die Kölnische Mark als Gewichtseinheit, jedoch rechnete man bei Gold in einem Standard von 24 Karat, der heute noch gebräuchlich ist, und nicht wie bei Silber mit 16 Lot.
Das "Gesetz über den Feingehalt der Gold und Silberwaren" von 1884
Die gesetzliche Neuregelung auf dem Gebiet des Deutschen Reichs erfolgte durch das zum 1. Januar 1888 eingeführte "Gesetz über den Feingehalt der Gold und Silberwaren" (FeinGehG) vom 16. Juli 1884. Das Gesetz, das bis in die jüngste Zeit mehrfach aktualisiert wurde und heute kurz unter dem Namen 'Stempelgesetz' bekannt ist, gilt in seinen wesentlichen Grundzügen noch immer und schreibt damit bis in die heutige Zeit wichtige Regelungen zur Punzierung von Gold und Silber fest.
In seiner Ausgestaltung verrät sich die deutlich seine Entstehungszeit. So werden Regelungen nur für Gold und Silber getroffen, während Platinmetalle, darunter Palladium unbeachtet bleiben, da sie damals noch nicht nennenswert verarbeitet wurden. Die Gültigkeitsdauer des deutschen Stempelgesetzes ist überschaubar, da die EU bereits seit Jahren eine Neuregelung entwickelt, um die unterschiedlichen nationalen Regelungen im EU-Raum zu harmonisieren.
Die wichtigsten Regelungen des Stempelgesetzes
Der geographische Geltungsbereich des Stempelgesetzes umfasste bei seiner Einführung 1888 das damalige Staatsgebiet des Deutschen Kaiserreichs und damit auch das 1871 deutsch gewordene Elsass-Lothringen. Als nationales Gesetz beschränkt sich seine Gültigkeit heute auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschlands. Aufgrund seines Grundgedankens, Handel und Gewerbe möglichst wenig zu behindern, gilt es als eines der großzügigsten Stempelgesetze auf der Welt.
Bemerkenswert ist daher die Bestimmung, dass in Deutschland der Gebrauch von Feingehaltsmarken (Punzierung) nicht den Schmuckherstellern oder Juwelieren vorbehalten ist, sondern jedermann auf Schmuck, Uhren und Gerät gestattet ist. Eine fachliche Qualifikation ist somit nicht nötig. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Punzierung besteht ebenso wenig wie eine staatliche Kontrolle, die es vorher in gewisser Weise gab. Wer aber punzt, ist verpflichtet, dies nach dem Stempelgesetz zu tun.
"Gold und Silberwaren dürfen zu jedem Feingehalt angefertigt und feilgehalten werden. Angabe zum Feingehalt haben aber nach Maßgabe der Bestimmungen des Gesetzes zu erfolgen." (§ 1).
Damit sind kraft Gesetz auch unübliche Feingehaltsangaben möglich. Die Stempelung des Feingehaltes hat in Tausendstel zu erfolgen, die aber nicht mitpunziert werden. Die Stempelung in Lot und Karat ist somit nicht mehr zulässig. Für die Richtigkeit der Feingehaltsangabe haftet der Verkäufer der Ware, bei Stempelung im Inland ebenso der Inhaber des Unternehmens, für den die Stempelung vorgenommen wurde.
Das Stempelgesetz unterteilt in drei Gruppen von Gold- und Silberwaren, die entsprechend unterschiedlich geregelt werden, nämlich Gerät (§ 2 und § 3), Uhrgehäuse (§ 4) und Schmucksachen (§ 5), für die unterschiedliche Regelungen getroffen werden.
Der Reichsgold- und Reichssilberstempel von 1884
Durch das Punzieren mit dem Reichsgold- bzw. Reichssilberstempel wurde die Konformität mit dem „Gesetz über den Feingehalt der Gold und Silberwaren“ bestätigt. Die Stempelbilder wurden durch eine Bestimmung des Bundesrates vom 7. Januar 1886 für Gold- und Silbergeräte – also nicht für Schmuck - unter Bezugnahme auf das Stempelgesetz von 1884 wie folgt festgelegt.
Der Reichsgoldstempel besteht aus der Reichskrone im Sonnenzeichen (Kreisrund), der Angabe des Feingehaltes in Tausendstel sowie der Angabe der Firma oder der Schutzmarke des Geschäftes, für die gestempelt wird.
Der Reichssilberstempel besteht analog aus der Reichskrone rechts neben der Mondsichel, der Angabe des Feingehaltes in Tausendstel sowie der Angabe der Firma oder der Schutzmarke des Geschäftes, für die gestempelt wird.
Durch das Punzieren mit dem Reichsgold- bzw. Reichssilberstempel wurde die Konformität mit dem „Gesetz über den Feingehalt der Gold und Silberwaren“ bestätigt. Die Stempelbilder wurden durch eine Bestimmung des Bundesrates vom 7. Januar 1886 für Gold- und Silbergeräte – also nicht für Schmuck - unter Bezugnahme auf das Stempelgesetz von 1884 wie folgt festgelegt.
Mit der Wahl des Sonnenscheibe für Gold und der Mondsichel für Silber folgte man der traditionellen Symbolsprache der Alchemie, die jahrhundertelang eng mit der Astrologie verknüpft war.
In ihr spielten sieben Metalle eine herausragende Rolle, analog den sieben klassischen Himmelskörpern, die die Antike, Mittelalter und die frühe Neuzeit kannten.
Für Uhrgehäuse bestand bis 1976 die Möglichkeit, die Reichsgold- bzw. Reichssilbermarke zu verwenden.
Für Schmuck aus Gold und Silber lässt das Gesetz jeden Feingehalt zu, der aber in Tausendstel zu punzieren ist. Die Toleranz beträgt hier 10 Tausendstel, wenn der Gegenstand in Gänze eingeschmolzen wird. Das Anbringen der Reichsgoldstempel und Reichssilberstempel wird ausdrücklich untersagt.
Interessant ist auch die Bestimmung für aus dem Ausland eingeführten Gold- und Silberwaren. Sie dürfen nur gehandelt werden, wenn sie mit einem Stempelzeichen nach Maßgabe des Stempelgesetzes versehen sind, sofern sie nicht bereits eine dem Gesetz konforme Feingehaltsangabe tragen.
Auf die nicht leicht verständlichen besonderen Bestimmungen des Stempelgesetzes für Materialkombinationen und Sonderfälle soll hier nicht weiter eingegangen werden; ebenso wenig auf die zwischenzeitlich erfolgten Aktualisierungen des Gesetzes.
Ausdrücklich erwähnt werden soll hier noch die Stempelung von versilbertem Besteck und versilberten Tafelgeräte, die in § 9.2 geregelt wird.
Der verwandte Zahlenstempel bezeichnet nicht die Angabe des Feingehaltes in Silber, sondern bezieht sich auf die Qualität der Versilberung. Eine Versilberung von 90 bzw. 100 bedeutet, das auf einer definierten Fläche von 24 qdm, die 12 Esslöffeln und Gabeln entsprechen, 90 g bzw. 100 g Silber verwandt wurden. Die Schichtstärke der Silberauflage beträgt dabei nur 24 µm bzw. 45 µm; das Trägermaterial kann unterschiedlich sein.
Üblich ist heute eine Edelstahllegierung aus 18/10er Chrom-Nickelstahl. Bei der sog. Hartversilberung wird die Versilberung zum Schutz gegen mechanischen Abrieb zusätzlich durch Zusätze von Antimon gehärtet.
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